• 29. Apr 2013 19:47
  • "Was wäre wenn wir schon längst unser Ziel erreicht hätten?
    Wie würden wir uns fühlen?
    Wie fühlt sich das an, etliche Kilo leichter zu sein?
    Wäre jeder Schritt wie ein Schweben?
    Würde Bewegung ein Genuss sein?
    Würden wir öfter auf die Waage gehen?
    Würden wir häufiger in den Spiegel sehen?
    Könnte der eigene Anblick die Stimmung heben?
    Wäre die Freude auf den Sommer größer, weil wir mehr von uns zeigen könnten?

    Ist das nur ein Traum oder ist das wirklich vorstellbar? Je öfter man sich mit diesem Ziel beschäftigt, je konkreter Vorstellungen sind, desto größer sind die Chancen, dieses Ziel auch zu erreichen! "

    Eine Reaktion auf den letzten Bogeintrag von Der_Bernauer.

    Tagträumerei

    Sie sieht in den staubigen Spiegel mit den vielen Postkarten, Fotos und Zeichnungen, die sie über die Jahre hinweg am Rahmen befestigt hat, sodass nur noch ein Teil des Spiegelglases zu erkennen ist. Eine Postkarte mit der bunten Medina Marokkos erinnert an vergessene Tage unter Orangenbäumen.
    Sie musterst das Mädchen, dass ihr da mit großen braunen Augen entgegenblickt.
    Schön ist sie. Schlanke Beine und Arme, einen leicht nach außen gewölbten Bauch. Schmaler Hals und ein kräftiger Rücken, gesunde Haut.
    Der Bick wandert über die Schlüsselbeine zu dem Gesicht der Frau im Spiegel. Es wird von kurzen braunen Haaren umrahmt, die ihre Schulter berühren sie ein bisschen kindlich aussehen lassen.
    Die Lippen der beiden formen sich zu einem Lächeln, als ihre Blicke sich treffen.
    Sie hebt die Hand zu einem Gruß. "Hi, schön dass du wieder da bist"
    Doch die andere kann es noch immer nicht fassen. Das zigte Mal heute morgen steigt sie auf die Glaswaage, vor der sie so eine lange Zeit solche Angst gehabt hatte.
    52,00 kg. Ganz genau. Sie grinst und steigt von dem Gerät, nur um in nächsten Moment wieder die Füße auf das Glas zu stellen und die angegebene Ziffer zu bestaunen.
    Neue Freude breitet sich in ihr aus, als die Hose, die ihr noch vor ein paar Monaten viel zu eng war problemlos über die schmalen Schenkel gleitet.
    "Wie schön es ist, bei sich selbst zu sein." denkt sie und schaltet die Lautstärke ihrer Anlage noch eine Stufe höher.

    Schön. Das Wort scheint wie erfunden für diesen Moment.
    Was verbinde ich mit dem Wort schön? Nicht nur, dass ich mich wieder schön fühlen möchte. Ich freue mich auch auf die Zeit, in der ich mich mit mir selbst wieder im Einklang fühle, denn sie ist schön.
    Schön bezeichnet meiner Intention zufolge nicht das objektive Aussehen von Individuen. Vielmehr ist es das Gefühl, auf das ich warte. Das Gefühl, dass ich scheinbar nicht bewusst und aktiv fühlen kann, solange ich in einem Körper wohne, der sich nicht wie mein eigener anfühlt.
    Schön kann jeder sein, egal wie jeder aussieht.

    Natürlich wird sich die oben beschriebene Szene nie in Relität verwandeln. Auch wenn ich meiner Ansprüche genügend wonnig in den Spiegel blicken werde und mich selbst anders sehen werde als zum heutigen Tage, werde ich immernoch dieselbe Person sein.
    Das ist der Beweis, dass unser Gewicht unabhängig von unserem Wohlbefinden sein sollte.
    Ich bin niemand anderes als ich es sein werde, wenn ich vor dem Spiegel stehe und leichter bin.
    Ich werde immernoch Sorgen und Probleme und Ängste haben, unabhängig von meinem Spiegelbild.
    Ich werde, wenn auch auf der Waage etwas gegensätzlich stehen mag, nicht mit leichterem Herzen durch das Leben gehen als ich es heute tue.

    Was nehme ich mit aus dieser Erkenntnis? Ein Teil von mir würde meinen, mein Vorhaben banalisiert sich dadurch. Dass der Aspekt der gesteigerten Lebensqualität nach der Gewichtsabnahme wegfällt impliziere, dass ein Teil der Notwendigkeit wegfalle.
    Ein anderer Teil, auf den ich mich lieber verlassen möchte, würde meinen, dass ich nun realistischer auf mein Vorhaben blicken kann. Dass ich am Ende nicht desillusioniert und trotz des neuen Körpers ein wenig enttäuscht vor dem Spiegel mit den vielen Postkarten, Fotos und Zeichnungen stehen werde. Und auch, dass ich nicht abnehmen sollte, um glücklich zu sein, sprich ein schönes Gefühl zu haben. Vielmehr sollte das Schöne im Leben schon jetzt Platz im Leben finden und den neuen Körper damit ausfüllen, anstatt andersherum.
    Diese Erkenntnis ist vielleicht sehr wichtig für mich, denn sie nimmt gleichzeitig Druck und Illusion.