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02. Sep 2016 - Mein Weg mit meiner "Essstörung"

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    • 02. Sep 2016 22:42
    • Liebe Paulinchen,

      in Deiner Reflexion sprichst Du etwas an, das man leider sehr lange mit sich tragen kann: die Verbote und Gewohnheiten aus der Kindheit. Hier einiges zu meinem Verhältnis zum Essen:

      Ich war als Kind schon ein "schlechter Esser"; Frühstück war und ist für mich bis heute ein Problem: Ich lege los bis auf einmal ein Wahnsinnshunger da ist. Ich nehme jetzt vier Stunden nach dem Erwachen die ersten Obstpunkte zu mir. Aber woher kommt das? Meine Mutter war und ist bis heute auf Dauerdiät - freilich ohne Disziplin, denn sie ist ein Binge Eater. Mein Vater verbrachte mehr Zeit im Job als anderswo, aß meist auswärts und so sah unser Vorrat in Kindheitstagen aus: Soleier (Mutters Dauerdiät zwischen den Binge-Anfällen, in denen mal eben ein Becher Schmand wie Joghurt gelöffelt wird), Ravioli, TK-Spinat und Fischstäbchen, Haferflocken, fettarme H-Milch (welch ein Graus) und MJÖLK-Knäckebrot. Letzteres verspeiste mein Vater samt Erdbeermarmelade (für mich verboten, da nur für Vater), falls er doch noch abends Hunger hatte. Außerdem gab es immer "NOVESIA Goldnuss"-Schokolade sowie TOBLERONE im Hause, die aber für mich verboten war, da ja der Moment kommen könnte, dass mein Vater Schokolade essen möchte. Für meine Mutter war ich mit meinem wenigen Hunger also pflegeleicht, wurde sie doch nicht an ihre Heißhungerattacken erinnert. Ich machte mir schon in frühen Kindheitstagen meist Haferflocken, da ich mich als Kind mehrfach am Herd verbrannte und dieses Objekt in der Küche jahrelang umschiffte,
      Nur durch meine Großeltern, bei denen ich oft geparkt wurde, kannte ich Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch - und ein normales Verhältnis zum Essen. Ich lernte, was ich alles im Wald und auf der Wiese und natürlich aus dem Garten essen kann. Mein Opa beförderte das Ideal "von der Hand in den Mund" - ohne den Umweg "Abwaschen" (sehr zum Ärger meiner Oma). Ich bekam ein WERTHERS ECHTE oder einen Rigel KINDER-Schokolade oder ein halbes BOUNTY, wenn ich ehrfurchtsvoll vor dem Süßigkeitenschrank meiner Oma stand, aber eben nur eines am Tag. Dafür gab es eine große Tasse selbst gemachten Kefir, selbst gemachten Apfel-Holundersaft und einen Apfel täglich als Zwischenmahlzeiten (Abends gab es Milchsuppe, morgens ein halbes Leberwurstbrot mit Widerwillen und mittags Eintopf). - Zu Hause gab es Obst und Gemüse nur als exotische Hingucker, an die ich nicht dran durfte (es kostete damals ein Heidengeld), damit die Freunde Kokosnüsse, Ananas, Avocados, Kiwi und Süßkartoffeln bestaunen (ich spreche von einer Kindheit in den frühen 1970ern). Cola, Chips & Co. habe ich erst bei anderen Kinderparties kennengelernt, ebenso wie NUTELLA. Das juckt mich auch bis heute nicht (naja, bis auf eine kurze Zeit als ich Teenager war und am liebsten NUTELLA pur gelöffelt hätte - der berühmte Taschengeldfaktor, den ich umgehend auch gerne in Reibekuchen von der Pommesbude investierte).

      Kurzum: Ich kannte aus dem Elternhaus zwei Ernährungsvarianten: Essen im Restaurant (sehr oft) und die Konserve. Alles andere macht meiner Mutter "zu viel Arbeit" (bis heute). Das führte mich auch zu MM, denn ich - ja ich - schaffe es (heute nicht mehr so leicht, aber ab und an) an einem Tag keinen einzigen gelben Punkt zu ergattern. Das ging viele Jahre so. Okay, ich hatte Apfelphasen etc., aber wirklich viel Gemüse ... das gab es nur bei Oma - und ich hatte dies in mein junges Erwachsenenleben irgendwie zunächst nicht mitgenommen. ...

      Ich war Ende zwanzig, als ich Stück für Stück dem Fabrikzeug abschwor. Das hatte mehrere Gründe: politisch wollte ich nicht die Großkonzerne stützten, deren Fabriknahrung in jedem Geschäft angeboten wird, ernärhungsphysioligisch entwickelte ich eine Sekepsis gegen alle "E"s und Zutaten, die mir so gar nichts sagten, und das Körpergefühl war, ständig Verdauungsprobleme, häufig geschwollene Füße und einen aufgeblähten Bauch zu haben. Seit zwei Jahren (da war ich 48) bin ich 99% clean. Kein Fertigmüsli, keine Tütensuppe, kein TK-Gericht, nein: auch keine Nudeln. Es hat sehr lange gedauert. Doch wenn ich meine 30er und 40er Jahre betrachte, dann waren die schon voll ok: Ofengemüße, gedämpftes Gemüse etc. aber immer wieder mal eine Pizza, ein Döner und vor allem Brot und Pasta .... Die Krönung: Pasta Pesto und ein paar Scheiben Ciabatta. ... an locker drei von sieben Tagen in der Woche. - Eigentlich waren es immer die Tage, an denen ich nicht nahe meiner eigenen Küche (Home Office) arbeitete oder zu lange (über 12 Stunden) außer Haus war, die mir dieses Ernährungsdilemma brachten; daher beschloss ich im Jahr 2000, endgültig das Büro ins eigene Haus zu integrieren.

      Das Bio-Handwerks-Vollkornbrot lass ich mir auch heute nicht nehmen, ebenso wie mal Fish & Chips oder Pommes aus frischen Kartoffeln oder hausgemachten (auch der Teig) Flammkuchen, bloß ist es viel, sehr viel seltener; vielleicht einmal in sechs Wochen EINE Ausnahme (nicht jeweils - nein ich zähle die Wochen nicht, habe aber dank des Tagesbuchs einen guten Überblick).

      Ich kann Dir nicht sagen, wann es wirklich Klick gemacht hat. Es waren viele kleine Aha-Erlebnsisse. Ich hatte und habe keinen Süßfimmel, doch Abends häufig wirklich Hunger, weil ich tagsüber nichts (absolut gar nichts) gegessen hatte und der Reflex war: Pasta Pesto oder Salat und Baguette (mehr Baguette als Salat), Brot mit Käse ... nichts, was frisch und ursprünglich ist.

      Mein größtes Aha-Erlebnis war, den Werdegang meiner figur-ehrgeizigen Mutter über all die Jahrzehnte zu beobachten: Sie startete mit 55 kg bei 1,56m, was nun auch nicht gerade am unteren BMI-Ende ist (BMI 22.6). An diesen 55 kg, die sie einst hatte, wurde ich als Teenager mit 1,70m gemessen und hungerte brav, um wenigstens die 56 kg (BMI 19,38) ("du wirst zu fett" - O-Ton Mutter; seitdem zähle ich Kalorien und Punkte) zu halten, später 58/59 kg (BMI 20,24). Während zwischen 30 und 49 Jahren eine Zeit mit "fetten" 62/63 kg (BMI 21,63) für mich folgte, schaukelte sich meine Mutter auf nun 72 kg (BMI 29,59) hoch. ... spricht jeden Tag von Diät und "nein, dass esse ich nicht mehr" und binget fleißig weiter: 750 ml Eiscreme in zwei Tagen nebenbei, 100 Gramm Marzipan? Kein Thema an einem Tag. Dazwischen gibt es dann drei, vier Tage "Konserve" (Brot und Käse oder Wurst oder gleich ein TK-Gericht) usw. Ich weiß dies genau, denn sie wohnt in meinem Haus (eigentlich in einer eigenen Wohnung) und ihr liebster Platz ist zu meinem Horror meine Küche, in welcher sie dann auch praktischerweise gleich ihre Lebensmittel lagert.

      Liebe Paulinchen, manchmal komme ich auch heute, wirklich hungernd nach hause und gehe reflexartig (trotz zwei Jahren MM) zum Brotschrank, öffne diesen natürlich und starre das Brot (meiner Mutter) an. Dann frage ich mich: "Ist es wirklich das, was Du willst?" Dann schweift mein Blick zum Obstkorb und ich nehme mir eine Banane oder einen Apfel.

      Ich kann Deinen Leidensdruck nachempfinden und wünsche Dir, dass Du den berühmten Klick im Kopf schaffst,
      xe.
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    • 02. Sep 2016 18:44
    • Hallo Paulinchen,

      das dämliche Hamsterrad "ab morgen" ist auch für mich jahrelang ein übler Begleiter gewesen.

      Die abendlichen Attacken würde ich dabei schon als Binge-Eating bezeichnen, denn mit Hunger hatte das wenig zu tun.

      Mich kostet es leider immer wieder / immer weiter sehr viel Konzentration auf die guten Dinge.

      Es ist halt leider soooo viel einfacher, eine Tafel Schokolade in sich reinzustopfen als zunächst Gemüse oder Salat zu putzen und dann zuzubereiten etc...

      Dank MM komme ich heute schneller wieder auf den korrekten Weg zurück.

      Ich bräuchte vielleicht mal ein paar Tips, wie man aus dem Hamsterrad "Pflichtgefühl" o.ä. rauskommt.

      Ich lasse mich dermaßen von meiner Arbeit einnehmen, dass ich mich selbst zu lange vergesse. Nicht gut.

      An freien Tagen wie heute bekomme ich das gesunde Essen viel besser hin.

      Einen riesigen Vorteil haben wir noch gemeinsam: Unsere Männer bringen uns Salat und Gemüse näher.

      Das ist ein Segen, dass er nicht -wie viele Männer- nur deftige Hausmannskost haben will.

      GGLG
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    • 02. Sep 2016 16:17
    • Liebe Leser,

      das Wort "Essstörung" klingt erst mal unglaublich hart und ich glaube, jeder von uns denkt an die Klassiker Magersucht, Bulimie, Binge Eating usw.
      Wenn man das Wort genau ansieht, heißt es aber lediglich, dass das Essverhalten gestört ist - also in irgendeiner Form von der Norm abweicht. Nur ist die Norm sicherlich in Bezug auf die Ernährung nicht so leicht zu messen.

      Ich würde mein Verhältnis zum Essen durchaus als gestört bezeichnen, auch wenn ich an keiner der drei oben genannten Erkrankungen leide.

      Wo ich mein falsches Essverhalten her habe, weiß ich gar nicht so genau. Es fing eigentlich schon sehr früh an, nur hab ich das damals natürlich nicht bemerkt. Als kleines Kind durfte ich fast nie Süßigkeiten essen, weil meine Mutter dachte, ich hätte Neurodermitis. Somit wurde mir im Grunde alles verboten.
      Als ich in der Schule war und mein eigenes Taschengeld bekam wurde das Kiosk mit den leckeren Teilchen ganz interessant - denn hier konnte mich ja keiner kontrollieren und mir folglich auch niemand den Konsum verbieten. Also hab ich mir ab und an etwas davon gegönnt... manchmal kaufte ich auch etwas und "bunkerte" es, wobei ich darauf achtete, dass es niemand merkte, weil es mir wohl irgendwie unangenehm war. Vielleicht eine Rebellion gegen das ständige Verbot von vorher?!

      Als Jugendliche dann kam mit den familiären Problemen (Mutter zweifach geschieden, alkoholkrank) noch der erste große Liebeskummer hinzu und um irgendwie auf mich aufmerksam zu machen und weil es eben schmeckte, wanderten dann allabendlich Nutellabrote und Cornflakes-Schüsseln mit Milch in meinen Bauch. Meine Mutter bemerkte das zwar, allerdings war außer einem genervten "Musst du das jetzt auch noch essen?" nicht mehr aus ihr herauszuholen. Eine Ernährungsberatung habe ich dann für 3 Sitzungen bei mir zuhause selbst bezahlt. Gebracht hat diese mir leider nicht viel, denn es fehlte mir - scheinbar also schon damals - nicht an Wissen, sondern an der Umsetzung.

      Als ich dann mit Anfang 20 den Absprung schaffte und zuhause auszog war ich auf mich gestellt. Studium abgebrochen, Ausbildungsstelle gesucht, wieder eine Beziehung zu Ende... Vielleicht kein Wunder, dass ich mich aus Kummer / Zeitnot / Erschöpfung und was weiß ich noch alles am Abend dann lieber von einem Fertiggericht inkl. Schokolade und Nachos ernährt habe, als für mich alleine selbst zu kochen.
      Und irgendwann begann die Schleife "morgen machst du es anders" ... Sie wurde mein ständiger Begleiter. Essen, bzw. Nicht-Essen hieß das neue Gedankenkarussel, in das ich einstieg. Und ich versagte jeden Tag. Manchmal auch nur jeden zweiten. Aber in der Regel fiel mir jeden Tag etwas neues ein, wieso ich es genau heute dann doch nicht schaffte, endlich etwas an meiner Ernährung umzustellen.
      Eigentlich ist es ein Wunder, dass ich nach dieser ganzen Zeit maximal 75 kg auf die Waage brachte und nicht wesentlich mehr. ^^

      Dank meines Mannes, der mir damals das Gemüse und den Salat ins Haus brachte ;-)
      und dank My Miracle habe ich 2013 wirklich viel gelernt in Puncto gesunde, eiweißreiche und kalorienreduzierte Ernährung. Ich hatte endlich Erfolg, habe endlich abgenommen. Nach der erfolgten Abnahme habe ich das "Halten" jedoch aufgrund meiner noch nicht erlernten Disziplin den Süßigkeiten gegenüber nicht geschafft. Sie gehörten dazu, jeden Tag. Und als ich mehr essen durfte, habe ich das nicht etwa in mehr Brot oder mehr Aufschnitt, mehr Obst oder einfach noch ein Stückchen Fleisch investiert, nein. Ich aß einfach mehr Süßigkeiten. Und damit beginnt ein Kreislauf, den viele von euch vielleicht kennen. Manche können nach 1-2 Stück Schokolade aufhören. Manchmal kann ich das auch. Aber manchmal kreisen die Gedanken dann immer weiter um die übrigen Stücke. Und man greift hin, weil ein drittes schadet ja nicht. Auch ein viertes lässt sich mit einem Augen zu drücken noch in die Punkte packen. Und ab dem 6. müsste man eben noch etwas Sport machen. Aber aufhören?? Das geht dann irgendwie nicht.

      Ich lerne jetzt, dass ich nicht jeden Tag Süßigkeiten brauche, denn umgehen kann ich ehrlicherweise damit immer noch nicht. Esse ich zwei Kekse, will ich die ganze Packung. Das ist oft immer noch so. Also lieber ein paar Tage nicht essen und dann mal eine Kleinigkeit. Absoluter Verzicht ist nicht unbedingt das beste, denn irgendwann holt einen sicherlich der Heißhunger auf die ganzen Sachen wieder ein.

      Also bin ich erneut hier und habe in den vergangenen 6 Wochen immerhin schon 4,5 Kilo weniger. Es wird langsamer gehen, das wieß ich. Aber es tut sich wieder etwas.

      Und was noch wichtiger ist: Ich bin vor 6 Wochen aus dem Hamsterrad "ab morgen" ausgestiegen.
      Das kann ich nur jedem empfehlen, es ist unglaublich erleichternd ;-)

      Und jetzt breche ich gleich auf zu einer Grill-Geburtstag-After-Wedding-Party!
      Und natürlich versuche ich auf das was ich esse, zu achten. Aber bei solchen Anlässen ist eine Ausnahme auf jeden Fall drin.
      Schließlich sind mein Mann und ich nicht oft eingeladen und Genuss gehört zum Leben dazu.

      Ich wünsche euch ein schönes & sonniges Wochenende!
      Bis zum nächsten Mal!

      Eure Paulinchen